Wie soll man etwas Neues zu lesen anfangen nach diesen 33 Stunden, eingetaucht in die Welt des Theo Decker, gefangen genommen von der charismatischen Stimme eines Matthias Koeberlin, der es schafft die Figuren, die Handlung, die Orte so lebendig werden zu lassen, dass jede Unterbrechung wie ein Aufwachen aus einem intensiven Traum erscheint.
Tatsächlich habe ich mir beim Lesen eines Buches noch nie darüber Gedanken gemacht, wie viele Stunden ich wohl mit der Geschichte verbracht habe. Bei einem Hörbuch mit Zeitangabe ist das anders, da stellte sich mir ständig die Frage „schaffe ich wohl noch ein paar Kapitel?“.
Überhaupt, Hörbuch? Nein, bisher hatte sich mir die Welt der Hörbücher nicht eröffnet. Es gab keine Notwendigkeit, wenig Gelegenheit. Literatur wird selber lesend verschlungen.
An Donna Tartts ‚Goldfinch‘ (im Original) bin ich kläglich gescheitert. Dieses Buch war von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Lange, scheinbar endlose Passagen von Beschreibungen, die für den Spannungsbogen der Geschichte nicht zwingend notwendig erschienen, sind – das gebe ich offen zu – einfach nicht mein Ding.
Ich fand das schade, hatte ich doch gute Besprechungen gelesen und war neugierig auf diese Geschichte, ich wollte es unbedingt lesen. Und dann, zu meiner Freude, habe ich gleich von zwei Seiten die Hörbuch-Empfehlung der deutschen Ausgabe bekommen, gelesen von Matthias Koeberlin, ein Glücksfall.
Was für ein Erlebnis. Die (mich) beim Lesen ermüdenden Beschreibungen werden zur Ouvertüre des Handlungsstrangs, die Szenarien erhalten ihre Farbe, die Spannung wird dem Höhepunkt entgegengetrieben. Zugegeben, zwischenzeitlich wollte ich ihn schütteln, diesen naiven Theo, der alles irgendwie mit sich geschehen lässt, nicht eingreift, sich nicht widersetzt und immer tiefer in seine Fantasie-Lügengeschichten verstrickt. Man hat ihn trotzdem, oder gerade deswegen, gern. Vielleicht auch, weil ihm andere, allen voran sein Freund Boris, als Mit- (Gegen?-) spieler zur Seite gestellt werden. Vermutlich muss seine Figur genau so sein, wie sie ist, um seinem Lebenslauf die auf den Höhepunkt zustrebende Dramatik zu verleihen.
Waren die ersten zwei Drittel des Buches unterhaltsam, die konsequente Einleitung, das Kennenlernen der Menschen , so zielt alles auf das letzte Drittel, die Steigerung hin zum fulminanten, dem alle Register ziehenden Finale.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn erwähnen soll, muss, den Distelfink, dieses meisterhafte Gemälde, das dem Buch seinen Namen gibt. Hiermit getan, alles weitere… hört doch selbst, es lohnt sich!
Eine uneingeschränkte Hör-Empfehlung!
Donna Tartt ‚Der Distelfink‘, ungekürzte Lesung, gelesen von Matthias Koeberlin, Hörverlag ISBN 978-3-8445-1379-0
ps: wen es wundert, warum ich Fotos von New York und Las Vegas zur Auflockerung eingestreut habe … klar hat es etwas, um genau zu sein, ziemlich viel mit der Geschichte zu tun 🙂