Archiv der Kategorie: Gedanken

Tschö O’Reilly Verlag Köln

Seit ein paar Wochen schon, eigentlich seit der offiziellen Pressemeldung, denke ich darüber nach einen ‚Abschiedsbrief‘ zur Schließung des Kölner Büros des O’Reilly Verlages zu schreiben. Dann wieder stellte ich mir die Frage: steht mir das überhaupt zu? Darf ich mir das erlauben? Schließlich werden es im August vier Jahre, dass ich dort gar nicht mehr arbeite, was hab ich also damit am Hut?

Dass ich mir solche Fragen stelle und dass ich darüber so viel nachdenke zeigt: ich habe anscheinend noch eine ganze Menge damit am Hut.

Nun sind mir gerade in den letzten Tagen ein paar Dinge über den Weg gelaufen, die mich ein kleines bisschen melancholisch gestimmt und überzeugt haben, den Artikel zu schreiben.

Zum einen wurde von Köln aus ein kleines Büchlein verschickt, ein Abschlussgeschenk, auch an die ‚Ehemaligen‘, was ich einen ganz besonders netten Zug finde. Ich habe also auch eines bekommen und beim Durchblättern vielleicht ein klein wenig feuchte Augen bekommen. Da sind viele Fotos aus dem Archiv drin, verbunden mit noch viel mehr schönen Erinnerungen.

Beim Umräumen meiner Wohnung fand ich meine O'Reillyalten Vertretermappen von 2011 (wieso hab ich die wohl nie weggeworfen??). Und als ich dieser Tage  O’Reilly-Titel für einen Kunden bibliografiert habe und mich anschließend am Telefon mit ‚O’Reilly Verlag‘ statt ‚Buchhandlung Biazza‘ melden wollte, war mir klar, ich muss jetzt mal abschließen.

Im Juni war ich nochmal da, im Verlag in Köln und konnte noch einige Kollegen treffen, eigentlich wie O'Reilly Verlagimmer. Ein liebgewonnenes Ritual bei meinen spärlichen, viel zu kurzen Besuchen in Köln, immer ein bisschen wie früher einen freien Schreibtisch zu suchen (als Außendienstlerin hatte ich in Köln ja keinen eigenen), mit Kollegen zu plaudern, mir eine Beschäftigung mitzubringen, um dann mittags gemeinsam mit den Vertriebs- und Marketing-Kollegen  essen zu gehen.

Natürlich ist das völlig in Ordnung, dass Dinge sich ändern, aber das bedeutet ja nicht, dass man ihnen nicht ein bisschen nachtrauern darf. Und meine fast dreizehn Jahre beim O’Reilly Verlag (und die vier ‚Besucherjahre‘ hinterher) haben mich geprägt, liegen mir sehr am Herzen und ich schaue gerne auf sie zurück. Auf die Arbeitsbedingungen, den Job an sich und vor allem die Kollegen.

Zum Glück gibt es heute ein großes Angebot an sozialen Medien und eine Vielfalt an Möglichkeiten miteinander in Kontakt zu bleiben. Da muss man zumindest von den Kollegen nicht Abschied nehmen. 😀

Dennoch war es für mich immer schön, diesen einen Anlaufpunkt in

Ich sach dann mal tschö dem Kölner O'Reilly Büro
Ich sach dann mal tschö dem Kölner O’Reilly Büro

Köln zu haben, ein Stück Heimat, die Kollegen alle beieinander, die Möglichkeit jeden ein bisschen von der Arbeit abzuhalten und kleine Gespräche zu führen. Irgendjemand war immer da und ist mit mir Mittagessen oder Kaffee trinken gegangen, immer war die Zeit zu knapp um endlich mal das ausführliche Gespräch zu führen, aber die kleinen Rundgänge von Schreibtisch zu Schreibtisch gehören zu meinen liebsten Erinnerungen.

Was bleibt sind unsere Erinnerungen und das, was uns alle zusammengeführt und verbunden hat: die O’Reilly Bücher und das was mit ihnen verbunden wird.  Denn die wird es weiter geben, ab jetzt in Heidelberg bei den Kollegen vom dpunkt.Verlag.

Was ich mir wünsche für die Kollegen? Türen hinter denen sich die Welt entdecken lässt. Offenheit dafür durch diese Türen zu treten und sich auf Neues einzulassen. Ohne Groll nach hinten schauen zu können und stolz auf das sein, was jeder einzelne erreicht hat, um sich mit diesem Bewusstsein auf den Weg in die Zukunft zu machen. Sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn der Weg mal nach unten geht, der nächste Gipfel kommt bestimmt. Jaja, blah blah, Sprüche, aber wünschen kann man doch mal 😉

… und hey, Abschied feiern, darin waren wir O’Reillys doch immer gut! Denn so ganz, geht man ja nie 😉 .

Bei meinem Abschied im August 2011 gabs nicht nur leckeres Essen, sondern auch ein Großpack Taschentücher ;-)
Bei meinem Abschied im August 2011 gabs nicht nur leckeres Essen, sondern auch ein Großpack Taschentücher 😉

 

Liebster Award – Digitales, Internet und wie es früher so war

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Nun ist da wieder einmal so ein Blogstöckchen bei mir gelandet. Eigentlich wollte ich mich dem inzwischen verweigern, zumal es der dritte ‚Liebster Award‘ ist. Da mir aber Alexander die Fragen zugeworfen hat, ich seine Blogbeiträge sehr schätze – auch wenn ich sie nicht immer ganz verstehe 😉 – und seine Fragen über die gängigen weit hinausgehen, mache ich mich mal an die Arbeit. Dass es inhaltlich um ‚dieses Internet‘ geht, macht die Sache besonders spannend, muss ich mir doch ernsthaft Gedanken machen.

Nur werde ich wieder einmal niemanden nominieren und das Stöckchen hiermit in meinem Fall zum Erliegen bringen.

Was Alexanders Fragen/Überlegungsanregungen betrifft, bin ich – ehrlich gesagt – hoffnungslos überfordert. Klar kann ich sie beantworten, aber großteils nicht mit Inhalten füllen.

Das könnte daran liegen, dass ich zu einer Zeit aufgewachsen bin, als ein Fernseher noch keine Farbe hatte, nur drei Programme und man zum Umschalten aufstehen musste. Im Studium waren Bücher in der Uni-Bibliothek auf Microfiche gespeichert (immerhin). Natürlich gab es schon Computer (so alt bin ich auch noch nicht 😉  ), aber es gab noch keine schicke bunte Oberfläche, die vorherrschenden Farben waren schwarz (Bildschirm) und grün (Schrift). Als Jugendliche sind wir vor dem Fernseher oder Radio mit dem Mikrofon gesessen, um unsere Lieblingslieder auf Kassetten aufzunehmen, und wehe die Mutter hat mitten ins Lieblingslied hinein zum Essen gerufen. Kurz nach meiner Lehre zur Buchhändlerin kamen die ersten Lernmaterialien begleitend zu Schulbüchern auf Floppy-Disk heraus. Ein Aufschrei des Entsetzens ob dieses unbekannten Mediums ging aus der Buchhandelsszene durchs Land – na, erinnert uns das vielleicht an momentane Entwicklungen? Bibliografiert wurde nicht nur noch mit ‚ph‘ geschrieben, sondern auch anhand von großen schweren mehrbändigen Katalogen. Das Alphabet war uns allen bekannt.

Und dann war da noch die Sache mit dem Telefon. Als Kinder war es uns generell nicht erlaubt zu telefonieren – mit wem auch, es hatte kaum jemand eines. Später im Studium erinnere ich mich an lange Telefonschnüre, die für die ganze Wohnung reichen mussten, schließlich hatte man sich in der WG eines zu teilen, zum Abrechnen gab es Einheitenzähler. Ferngespräche gab es nur nach 18 Uhr, da war es billiger. Anrufe von Reisen nach Hause waren geprägt von genauem Timing und vorherigem Münzen sammeln für das Telefonhäuschen, Kredit- oder EC-Karten gab es nämlich auch noch nicht.

Okay, ich höre jetzt auf, bevor hier noch jemand denkt, ich wäre uralt und würde aus Omas Nähkästchen plaudern. Tatsächlich bin ich ja noch gar nicht so alt, nur immer wieder überrascht wie viele technische Entwicklungen ich bereits miterlebt habe.

Ich stelle mir manchmal die Frage, wann der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich sage: „jetzt ist es genug, ich mag mich nicht mehr mit der nächsten technischen Neuerung auseinandersetzen, ich bin raus“.

Vermutlich ist es inzwischen allen aufgefallen, dass ich noch keine Frage beantwortet habe, ja, ich drücke mich ein wenig, weil … siehe oben. Aber nun bin ich mal mutig und los geht’s.

1. Welche Blogs/Online-Medien lest ihr am liebsten und warum?

Ich lese hauptsächlich Blogs rund um das Thema Outdoor, Wandern, Reisen, Kultur und Literatur. Dann vieles von Freunden und Bekannten, weil mich interessiert, was Menschen, die ich kenne so beschäftigt. Blog lesen ist für mich eine eher persönliche Sache. Immer wieder mal gibt es Phasen, da interessiert ein Thema mich mehr, dann wird da auch mehr drüber gelesen – das sind dann meist aktuelle Themen oder Jahrestage/Gedenktage historischer Ereignisse. Tipps zu Blogbeiträgen finde ich fast ausschließlich in den sozialen Netzwerken. Hängen bleibe ich oft an Zeitungsartikeln, gerne im Guardian, NBC News oder auch der Times. Ich bin keine Zeitungsleserin, deshalb sind das eher Ausflüge. Ich würde viel mehr lesen, leider fehlt dazu die Zeit und ich lese wirklich gerne auch mal ein Buch 😉

2. Was war eure erste Berührung mit dem Web und wie habt ihr das Medium seitdem genutzt?

1998 habe ich einen Sprachkurs in San Diego gemacht und bin zum ersten Mal mit Emails in Berührung gekommen, als sich viele meiner Mitschüler aus aller Welt so miteinander verbunden haben. Auch ich habe mir damals meinen ersten Email-Account angelegt, bei Yahoo, ob der da wohl immer noch rumdümpelt? Einen eigenen Rechner hatte ich bereits ein paar Jahre, aber keinen Internet-Anschluss. Ausflüge in ebenjenes waren Internet-Cafes vorbehalten, und als ich 1999 begann beim O’Reilly-Verlag zu arbeiten, wurde ich gleich in die Vollen geworfen. Seitdem habe ich versucht den Anschluss an die Entwicklungen nicht zu verpassen, was neben einem Vollzeitjob, an dem man nicht am Rechner arbeitet, nahezu unmöglich ist. Als ich 2011 mit meinem ersten Smartphone aus einem kleinen Starbucks in der Nähe des Yosemite National Parks ein Hotel für den Abend in San Francisco gebucht habe, war ich ziemlich stolz. Wenn ich heute mein Smartphone zuhause vergesse, werde ich zappelig.

3. Habt ihr einen ungefähren Plan von den Bausteinen des Internets? Falls ja: Von welchen? Falls nein: Warum nicht?

Nein. Sorry. Fühle mich gerade irgendwie out. Das wird bei den nächsten Fragen nicht besser. Vielleicht wüsste ich ein bisschen was, aber wenn mich jemand fragen würde, wie das Internet ‚funktioniert‘, könnte ich es nicht erklären. Warum? Ich denke, es interessiert mich nicht. Das ist wie mit dem Autofahren. Ich mag Autos, ich fahre gerne, habe aber keine Ahnung wie ein Motor funktioniert. Argh, das hat nichts, aber gar nichts damit zu tun, dass ich eine Frau bin, schlagt euch das gleich aus dem Kopf! Ich bin einfach der Meinung, dass jeder in diesem Leben nur einen klitzekleinen Teil an Aufgaben erfüllen kann und zum Glück sind wir alle verschieden und es gibt für jeden von uns was zu tun.

4. Wer sind für euch die größten Helden, wer die größten Feinde des offenen Webs?

Feinde: PolitikerInnen, egal wo. Helden: alle, die ihre Stimmen erheben und dafür kämpfen, dass das Web frei und ohne Barrieren wird und bleibt.

5. Wie heißen eure digitalen Lieblingstools?

???????????????? 🙂 🙂 🙂

6. Wieviel Zeit verbringt ihr täglich am PC/Laptop/Tablet/Smartphone?

Zuviel. Weniger seit ich im Job eingespannt bin – nur arbeite ich jetzt überwiegend am PC – ich zähle hier allerdings nur die private Zeit. Sicher immer noch ca. 2 Stunden täglich unter der Woche. Vom Wochenende reden wir hier nicht, allein so ein Blogartikel verschlingt mindestens vier Stunden – was mich nicht im Geringsten stört!

7. Wo und wie kann man im Netz am besten Zeit verplempern?

Da in der Frage der Begriff ‚verplempern‘ auftaucht, zähle ich Facebook, Twitter, Instagram und das Lesen von Artikeln nicht dazu. Obwohl … Prograstinator Nummer eins: die Mahjong-App auf dem Smartphone, die hat die Sudoko-App abgelöst, eine Zeitlang war es Tetris, ihr wisst schon – die absoluten Zeitkiller.

8. Wann wart ihr das letzte Mal mehr als 24 Stunden offline?

Vom 15. – 17.8.2012

9. Auch in den wirtschaftlich-technologisch weit entwickelten Ländern gibt es eine große Digital Divide. Wie kann man die eurer Meinung nach überwinden? Und ist das überhaupt wünschenswert?

Hm. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine echte Notwendigkeit gibt, das zu ändern. In Ländern wie hier bei uns hat jeder Zugang zu ‚Digitalien‘, es ist also jedem frei gestellt, ob er teilhaben will oder nicht. Das zeichnet uns doch letztlich aus, die freie Wahl zu haben. Schwieriger finde ich, dass in unseren Schulen, Ausbildungsstätten nicht mitgehalten wird mit den technischen Entwicklungen und somit zumindest einem Teil des Nachwuchses die Möglichkeiten genommen werden. Denn nicht jedes Kind (und es werden leider immer mehr) hat in seinem Zuhause die (finanziellen) Ressourcen von Beginn an teilzuhaben an der Welt des Digitalen.

10. Euer persönlicher Kommentar zu den deutschen “Netzpolitikern” Gabriel, Gorny, Oettinger?

Was? Wie? Wer? Kein Kommentar!

11. Was brennt euch sonst noch unter den Nägeln?

Siehe oben 😉 Nein, ehrlich, ich bin von vielem begeistert, an dem ich so teilhaben darf in den letzten Jahren. Ich wünsche mir mehr Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen und weniger Ignoranz von den Seiten, die Entscheidungen treffen, also der Politik, staatlichen und kulturellen Einrichtungen, keinen Universalverdacht gegenüber allem Neuem, weniger Kontrolle aber auch weniger Missbrauch – ja, ich weiß, unmöglich, aber man kann ja mal wünschen.

Ein Traum? Eine Geschichte!

Ich wollte etwas übers Schreiben schreiben. Über Handgeschriebenes. Dabei bin ich auf einen Text gestoßen. Einen Text, den ich vor neun Jahren geschrieben habe. Ich hatte ihn vergessen, kann mich noch nicht mal erinnern, unter welchen Umständen er entstanden ist. Und dennoch – oder gerade deswegen – seltsam berührend. Ich habe ihn abgetippt, Wort  für Wort, nichts verändert. Heute nun also nichts übers Schreiben, sondern eine Geschichte, etwas Geschriebenes.

Ein Traum? Eine Geschichte!

Sie erschrak. Das Herumlaufen in einem Haus mit leeren Räumen war nicht gerade erbaulich. Hinter jeder Tür wieder nur Leere. Und jetzt das. Sie sieht eine Bewegung, eine andere Person? Sie geht langsam näher, bevor sie erkennt, dass sie sich selber sieht, in einem Spiegel. Wie immer, wenn sie in einen Spiegel blickt ist sie überrascht – das ist sie also, so sehe ich aus, so bewege ich mich, so sehen mich andere.

Sie geht näher an den Spiegel heran, das Licht im leeren Zimmer ist schummrig. Zufällig berührt sie den Spiegel und erkennt, dass sich dahinter eine Tür verbirgt. Wie von Geisterhand öffnet sie sich.

Nun, sie hat inzwischen in diesem Haus hinter so viele Türen geblickt, warum nicht auch hinter diese – obwohl das Gefühl hier ein anderes ist. Unsicherheit, Angst, aber auch Neugier und ein ungewohntes Kribbeln, zu sehen, was sie dort erwartet. Schließlich ist diese Tür anders als alle vorherigen, die nur in leere Räume führten. Sie spürt, dass hier kein leeres Zimmer auf sie wartet, es wird anders sein.

Die Neugier siegt über die Stimmen in ihrem Kopf, die sagen „bleib, wo du bist, hier sind keine Gefahren, hier erwartet dich nichts Neues, du kennst alles“.

Sie öffnet die Tür ganz und sieht – erstmal NICHTS. Es ist dunkel. Sie wartet eine Weile, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben und erkennt dann eine steile Treppe, die nach unten führt. Es scheint unten am Fuß der Treppe einen Gang zu geben, sie kann einen leichten Lichtschein erkennen. Sie steigt die Stufen hinab und findet sich in einem weitläufigen Gang wieder. Rechts und links liegen weitere Türen. Von dort kam auch der Lichtschein, unter manchen Türen kann sie Licht hervorblinzeln sehen, unter anderen wiederum ist es dunkel.

Da sie erst einmal genug hat von der Dunkelheit öffnet sie eine der Türen, hinter denen Licht zu erkennen ist.

Natürlich ist sie nun erstmal geblendet und kann nichts erkennen. Aber sie kann etwas hören. Leise noch, aber es ist da. Nach der Stille im Haus ist das leise Geräusch eine Wohltat für ihre Seele. Langsam kann sie Umrisse erkennen, eine Insel mit Palmen, weißer Sandstrand und blaues Meer, das sacht an den Strand plätschert. Eine kleine Hütte, ein Boot, eine Hängematte. Sie erkennt immer mehr Details. Es sieht aus wie ein ruhiger, friedlicher Ort. Sie beschließt, sich das Haus näher anzusehen und tritt auf den warmen Sand, der ihr durch die Zehen fließt.

Die Luft ist angenehm warm, nicht drückend heiß, als sie die im Schatten von Palmen stehende Hütte betritt. Innen befindet sich ein großer Wohnraum mit Kochstelle, pragmatisch, aber dennoch mit einer gewissen Gemütlichkeit ausgestattet. Es scheint auch Strom zu geben, man hört einen Generator im Hintergrund summen. Durch eine Tür, die aus einem Kettenvorhang besteht, gelangt sie in ein kleines Schlafzimmer. Im ganzen Haus liegen auf Ablageflächen wie Nachttisch, Beistelltisch, kleinen Regalen, auf dem Boden kleine Stapel mit Büchern – teilweise schon mehrfach gelesen, manche sehen neu aus.

Sie denkt „ja, hier könnte ich es aushalten, zumindest eine Weile“. Sie fragt sich, ob sie wohl die Möglichkeit hat gleich hierzubleiben oder ob diese Welt wie eine Seifenblase platzen wird, sobald sie sich niederlässt.

Aber wir haben sie von Anfang an so eingeschätzt, dass ihre Neugier sie wohl weitertreiben wird. Sie kann ja immer noch wieder hierher zurückkommen.

Sie geht zurück in den Gang mit den viele Türen.

Entscheidungen, sie muss eine treffen, würde sich nun aber doch am liebsten auf die Insel zurückziehen. Was treibt sie an? Warum fällt ihr sowohl das eine – zurückzugehen – als auch das andere – sich für den nächsten Raum zu entscheiden – so schwer?

Sie schließt kurz die Augen und sucht ihren Mittelpunkt, der Atem beruhigt sich.

Sie geht zielstrebig zum Ende des Ganges und öffnet die letzte Tür auf der linken Seite.

Wow, ist das nicht genau das, was sie sich immer in ihren Träumen vorgestellt hat?

Sie blickt auf eine atemberaubend schöne Landschaft. Ein See glitzert in der aufgehenden Morgensonne, er ist umringt von sanften bewaldeten Hügeln, in der Ferne sieht sie Berge aufragen. Etwas erhöht am Ufer auf einer Lichtung steht eine Blockhütte, die sich zum See hin öffnet. Draußen steht eine Bank, die langsam von den Sonnenstrahlen erreicht wird und sie dazu einlädt, ja geradezu magisch anzieht, sich darauf zu setzen um die aufsteigende Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie hört den Wind sacht durch die Bäume streichen und Vogelgezwitscher. Das Haus hinter ihr knarrt in den Holzbohlen, aus denen es gebaut ist. Eine Maus läuft an ihren Füßen vorbei und über dem See kreist ein Adler majestätisch.

Sie will gar nicht aufstehen, kann noch ewig so sitzen bleiben, einfach nur sitzen und schauen, genießen. Keine Bewegung mehr, keine neuen Türen, das ist der Platz, den sie immer wollte.

Sicher? Ganz sicher? Wollte sie den Platz schon immer oder hat sie diesen Flecken in ihren Träumen gewollt, die nicht zwingend etwas mit der Realität zu tun haben? Vielleicht will sie auch gar nicht, dass ihre Träume Realität werden, denn dann verliert sie ja ihre Träume. Vielleicht fehlt ja auch noch etwas ganz Entscheidendes, sie hat es auf ihrer Suche nach Ruhe und Einsamkeit nur noch nicht gemerkt.

Wir werden sie noch ein kleines Stück auf ihrem Weg begleiten und sehen, ob sie doch noch das findet was sie sucht oder glaubt zu suchen.

Sie gönnt sich noch ein paar Stunden Auszeit auf der Bank vor dem Blockhaus, das sie nicht betreten wird. Es ist, als ob sie wüsste, dass auch hier alles so sein wird, wie sie es sich wünscht. Sie hat Angst davor, dann ihren Weg nicht weitergehen zu wollen, sich in dieser Idylle für immer zurückzuziehen.

Also steht sie auf, wirft noch einen Blick zurück, noch einen und noch einen, dann öffnet sie die Tür zum Gang und geht sofort, ohne Überlegung, in die gegenüberliegende Tür hinein.

Welche Überraschung. Sie ist in einem kleinen, aber feinen Apartment. Eine typische amerikanische Wohn-Ess-Küchenzeilen-Einrichtung. Vor dem Küchenbuffet steht ein runder schöner Holztisch mit sechs Stühlen. Nach links geht eine Tür zum Schlafzimmer und eine weitere ins Bad. Mehr Räume gibt es nicht. Ein kleiner Kamin befindet sich rechts der Küchenzeile, mit einem einladenden Sofa davor, auf dem sich Decken und Kissen tummeln. Die hintere Wand gleicht einer Bibliothek mit einer wild zusammengewürfelten Auswahl an Büchern. Von draußen sind viele Geräusche zu hören, Straßenlärm, Autos hupen, Mülleimer werden geleert, Busse fahren vorbei, Kinder schreien, Menschen telefonieren.

Sie sieht zum Fenster hinaus und blickt direkt auf das Museum of Modern Art in Manhattan. Sie weiß gar nicht wo sie zuerst hinschauen soll, ihr bleibt fast das Herz stehen. Eine Wohnung mitten in Manhattan, das ist ja auch nicht so leicht zu fassen.

Sie macht das Fenster auf. Der Lärm dringt jetzt ungehindert ins Zimmer. Ebenso die schwüle unerträgliche Hitze und eine Mischung aus Abgasen, Müllgestank und ranzigem Fett. Sie steht trotz allem nur da und staunt und genießt. Sie kann nicht sagen, dass es sie stört, es ist phantastisch.

Sie geht hinaus auf die Straße, IHRE Stadt, sie fühlt sie durch ihre Adern pulsieren. Menschenmassen, Lärm, Schnellimbisse, Hektik, Stehcafes, der Central Park, Theater, stundenlanges Schmökern in Buchhandlungen, Brooklyn, der Blick auf die Skyline, sie weiß gar nicht wo sie anfangen soll. Wie lange läuft sie nun schon durch die Straßen? Sie weiß es nicht, die Füße tun ihr weh, aber sie kann gar nicht innehalten.

Was soll sie tun? Drei Türen, drei Räume die unterschiedlicher nicht sein können, und dennoch, sie ist nicht glücklich, wenn sie ehrlich ist. Nichts ist vollkommen, vielleicht sind es die Träume, dort darf Vollkommenheit herrschen.

Sie geht zurück in ihr Apartment, dieses Mal fällt der Abschied nicht schwer. Sie weiß jetzt was fehlt. Im Trubel der New Yorker Innenstadt hat sie es entdeckt. In der Anonymität der Menschenmassen.

Es sind die Menschen, die fehlen. Sie weiß genau wo sie suchen muss, welche Tür sie öffnen muss. Sie geht zielstrebig zum Anfang des Ganges, gleich zur ersten Tür neben der Kellertreppe.

Sie öffnet sie und steht vor einer Treppe, die nach oben führt. Sie rennt fast, so sehr ist sie gespannt was oder wer sie oben erwartet.

Alle sind da, jeder einzelne. Ihre Eltern, von denen sie lange nicht sicher war, ob sie sie sehen will, ihr Bruder, ihr Freund, die wenigen aber guten Freunde, die noch da sind, ein paar der alten Freunde, die mal wieder nach ihr sehen wollten, neue Freunde. Jeder will mit ihr reden und hören, wie es ihr geht. Alle reden und lachen durcheinander. Neue Bekanntschaften untereinander werden geknüpft.

Irgendwann zieht sie sich zurück in eine Ecke und wird zur Beobachterin. Was sie sieht macht sie glücklich. Was hat sie von allen Träumen, wenn sie nicht gefüllt sind mit den Menschen, die in ihrem Leben eine Rolle spielen, sie begleiten, ihr geholfen haben oder denen sie helfen konnte, zum Spaß haben, zum Lachen, zum traurig sein, zum wütend sein, zum Lieben.

Sie ist zuhause!