Jeden Tag ein Foto, das ich auf Instagram poste und anschließend wochenweise hier verarbeite. Ja, ich sage extra ‚verarbeite‘, weil ja gerade alles nicht so einfach ist.
Ursprünglich wollte ich nichts schreiben zum Thema Corona, COVID-19, ’stay-at-home‘ oder wie auch immer wir diese Zeit gerade nennen und in Erinnerung behalten werden. Ich hatte geplant ein paar Ideen aus der Vergangenheit aufzunehmen und allem voran, endlich meine Eindrücke aus New York von letztem Sommer niederzuschreiben.
Alles zu seiner Zeit heißt es so schön.
Vor vielen Jahren, so ca. 15 dürfte es her sein, hatte ich zum Jahresanfang begonnen jeden Tag ein Foto mit meinem damals ersten Foto-fähigen Handy zu machen. Ich habe das nur für mich ganz privat über einen Zeitraum von drei Monaten gemacht und die Fotos in einem Album gesammelt. Jahre später war ich beim Anschauen wieder ziemlich angetan, was ich da so festgehalten hatte. Und überrascht. Der Hintergedanke war, den Fokus auf kleine positive Momente zu legen. Ich erinnere mich, dass es Tage gab, an denen ich aus einer ganzen Reihe von Fotos auswählen musste – denn die Regel war ganz klar, nur ein Foto, und auch die Auswahl an sich war eine Aussage – und es gab Tage, da bot sich vermeintlich gar nichts an. Am Ende war es nicht nur ein schöner bunter Einblick in meine Lebenssituation, sondern die Erkenntnis, dass es tatsächlich oft die kleinen Dinge sind, die uns den Alltag freundlicher machen und die leider so häufig übersehen werden.
Ein Foto am Tag Woche eins
Unsere vier Träumer-Kalender im Büro
Gedanken dazu
Ich arbeite noch. Und zwar vor Ort im Büro. Kein Home Office, das ginge nicht, aus Gründen. Gefühlt arbeite ich mehr als sonst. Das liegt nun nicht daran, dass ich in einem – wie es jetzt immer so schön heißt – systemrelevanten Beruf arbeite. Wie die meisten wissen bin ich Buchhändlerin, in einer Versandbuchhandlung. Wir liefern und verschicken unsere Bestellungen. Und wir tun das zur Zeit auch für unsere Kolleginnen im geschlossenen Ladengeschäft. Es ist super, dass wir so noch einiges an Umsatz haben, keine Frage. Das hilft uns allen.
Und wie oben erwähnt, die Mehrarbeit ist gefühlt. Denn mein normaler Arbeitstag sieht anders aus. Auch das wäre vermutlich nicht erwähnenswert. Da nagt noch etwas anderes an den Nerven.
Wir, die wir im Büro verharren, sind nicht entspannt. Wir sind weit entfernt von entschleunigt. Alle Welt redet davon – nein, natürlich nicht die in den systemrelevanten Berufen, mein Respekt an deren Durchhaltekraft! Es ist anstrengend sich auf Abstand zu halten, wo wir uns am liebsten umarmen oder noch zusammen auf ein Bierchen gehen würden. Wir wenigen sind alle an der Kante. Jeder schleppt ja auch seine privaten Sorgen und seinen Frust mit sich rum. Nicht falsch verstehen, das hier kein Jammern, Meckern, in Selbstmitleid versinken. Nein.
Ich stelle fest. Ich stelle fest, dass die mentale Anstrengung von mir völlig unterschätzt wurde. So sehr ich in der ersten Woche voll mit Energie war, die Arbeit der Kolleginnen mitzustemmen, sogar am Wochenende mein Wohnzimmer streichen konnte, so sehr nage ich jetzt mental am Zahnfleisch.
Es hat ein bisschen gedauert, ganz genau das zu erkennen. Schöne Ablenkung durch Traumreisen war schnell aufgebraucht. Es folgte ein patziger Tag, an dem ich jeden um mich rum (viele sind es ja nicht), der mich nur falsch anschaute, anpflaumte. Ein Wochenende, an dem ich mich zwar aufraffen konnte in den Wald zu radeln, zu einem Spaziergang, bei dem mich die vielen Menschen auf meiner sonst einsamen Runde aber irgendwie aggressiv machten.
Zuhause, auf meinem Sofa, beim vermeindlichen Nichtstun – während des Strickens kann ich immer so gut sinnieren – wurde es mir klar. Man muss nicht auf einmal in wilden Aktionismus verfallen. Ja, das Wetter ist schön, ja, es zieht einen raus und nein, es gibt keinen Zwang. Meine Kreativität ist auf dem Nullpunkt. Ich bin nicht dazu in der Lage etwas zu bauen, basteln, kochen, schreiben, malen, lernen, was ich schon immer mal wollte.
Ich möchte wirklich gerne entschleunigen. Und meine Zeit nutzen für Dinge, die ich schon immer gerne gemacht habe. Lesen, stricken, puzzlen, Blaubeerpfannkuchen essen, auch wenn es jetzt keine Saison für Blaubeeren ist, mit dem Handy daddeln, mich an meinem selbstgekochten Essen erfreuen, auf dem Sofa sitzen und ins Leere starren und … einfach ausruhen.
Ich bin mir nicht sicher, ob das für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, mir war das in dieser Dimension nicht klar. Wir sollten die mentale (und ich nenne es in diesem Fall bewusst nicht ‚psychisch‘) Anstrengung dieser Tage nicht unterschätzen und ihr ein wenig Aufmerksamkeit gönnen.
Mir geht es auf jeden Fall besser, seit ich mich einfach aufs Sofa gesetzt habe und den Aktionsmus meiner Nachbarn zwar durchs offene Fenster mitverfolgen kann, mich aber in keinster Weise genötigt fühle daran teilzunehmen.
Du hast recht. Bewusste Entschleunigung ist etwas völlig anderes als erzwungene. Ich wollte auch die Zeit nutzen für Weiterbildung, stelle aber fest, dass ich viel lese und Netflix schaue. Es ist insofern keine leichte Zeit, auch wenn ich sicher auf hohem Niveau Klage. 140 qm für zwei – da sollte man nicht meckern. Aber klar ist: vieles, was man sonst tun KÖNNTE (obwohl man es meistens doch nicht wirklich TUT), fehlt einem nun, da man es nicht tun KANN UND DARF.
Hoffen wir, dass bald wieder bessere Zeiten kommen!
Bleib gesund und munter!
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael, ich denke die Größe des Zuhause ist letztlich nicht entscheidend. Das Wohlfühlen darin und vielleicht auch ein bisschen dankbar sein dafür, dass man eben ein Zuhause hat, helfen mir. Mir ist natürlich auf der einen Seite etwas einsam, weil ich alleine wohne, auf der anderen Seite muss ich mich mit niemandem in meinem Alltag absprechen oder Rücksicht nehmen. Wie so oft, gibt es mehrere Seiten im Leben. Und klar, wir halten durch! Und freuen uns auf ein Wiedersehen mit Umarmungen 😘