On the Road USA – Von Seattle nach Chicago

Von Seattle nach Chicago in 14 Tagen mit dem Auto entlang der nördlichen Grenze der USA zu fahren, mit Abstechern nach Kanada, ist … ambitioniert. Am Ende waren es 5000 Kilometer und ich war froh in meinem USA-Zuhause in Wisconsin die letzten drei Tage an einem Ort ausklingen zu lassen.

Aber der Reihe nach.

Es waren vier Jahre, die ich nicht mehr in den USA war, aus Gründen. Ein besonderes Chorevent in der New Yorker Carnegie Hall hat mich die Reise planen lassen. Klar, dass ich dann nicht nur ein paar Tage nach New York, sondern gleich noch zwei Wochen länger bleiben wollte.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir darüber im Klaren war, was ich denn nun mit diesen zwei Wochen würde anfangen wollen. Zudem fiel die Reisezeit Ende Juni/Anfang Juli auch auf die Ferien in den USA. Schließlich wurde mir irgendwann bewusst, dass es eine ruhige Gegend sein sollte, wenig Touristen und leere Straßen. Ein, zwei schöne Nationalparks sollten es sein, die Berge und viel einsame Weite. Und ja, auch einen kurzen Abstecher auf ‚meine‘ Farm in Wisconsin wollte ich mir nicht nehmen lassen. Gerne ein paar neue Staaten in meiner USA-Sammlung, irgendwann einmal alle Staaten bereist zu haben.

Bekommen habe ich alles, vor allem im zweiten Teil  der Strecke viel einsame Weite, hart an der Grenze des zuviel.

irgendwo in Minnesota
irgendwo im Norden Minnesotas

Die Reise beginnt

Am 24. Juni 2019 frühmorgens hab ich mich von meinen Freunden über den Wolkenin New York verabschiedet und bin nach Seattle geflogen. Der 6-stündige Flug war entspannt und mit Lesen verging die Zeit schnell. Man bekommt drei Stunden ‚geschenkt‘ und so konnte ich ohne Stress meinen Mietwagen abholen. Kurz hatte ich überlegt noch einen Tag in Seattle zu bleiben, aber nach den 6 Tagen in New York war mir nach Landschaft. Also bin ich gleich vom Flughafen los Richtung Osten. Diese Richtung sollte mich bis fast zum Ende der Reise begleiten – logischerweise 😉 .

Nach zwei Stunden auf der Interstate, durch die bergige Landschaft der Cascade Mountains, hatte ich keine Lust mehr und bin an einer der üblichen ‚Gas – Lodge – Food‘- Exits rausgefahren. Ich mag es sehr, dass ich in den USA nicht vorplanen muss. Eine Lodge oder einen Campingplatz – oh ja, ich hatte ein Zelt dabei – findet man immer. Oder zumindest habe ich immer einen Platz zum Übernachten gefunden ohne Stress oder vorheriger Suche. Vorgebucht hatte ich unterwegs gar nichts und kein einziges Mal Probleme ein Motel zu finden.

Die Lodge, in der ich gelandet war, lag an einem kleinem Skigebiet, sah ein bisschen aus wie in der Schweiz. Im Sommer ist hier nichts los, aber ein Diner war geöffnet, Abendessen und Frühstück waren gerettet. Die erste Übernachtung on-the-road war also echt easy.

Lodge in den Cascade Mountains
Lodge in den Cascade Mountains

Überhaupt war dieser erste Tag alleine unterwegs ein guter Tag. Ich war ein bisschen gestresst von der Zeit vor dem Urlaub und den Tagen in New York. Zu Beginn einer Reise in den USA bin ich immer sehr nervös. Vor allem die ersten Kilometer im Mietwagen sind eine Herausforderung – in meinen Gedanken. Letztlich hat alles super geklappt und es war wie schon so oft, bin ich ins Auto eingestiegen, hab mich ein bisschen eingerichtet, alles eingestellt und nach 10 Minuten war das Auto mein Zuhause. Dann fängt der Urlaub richtig an und ich kann los- und mich auf die Reise einlassen.

Am nächsten Tag bin ich noch ein Stück auf der Interstate unterwegs gewesen, mein erstes Ziel war aber der Glacier National Park an der Grenze Kanadas und so bin ich abgebogen auf den Highway 2 in Richtung Nordosten. Warum ich den hier erwähne? Tatsächlich begleitete mich Highway 2 die gesamten zwei Wochen, führt er doch die ganze Strecke von der Nordwestküste der USA bis zur Michigan Upper Peninsula immer im Norden der USA entlang.

Mountains and Plains

Vermutlich könnte man die Strecke von Seattle bis zum Glacier NP in einem strammen Tag runterreißen, ich war aber im Urlaub und wollte mich nicht hetzen. Zudem wollte ein Einkauf gemacht werden, damit ich beim Campen was zu essen hatte. In der Nähe von Spokane fand sich ein netter Campingplatz direkt am See. Eine Runde schwimmen war drin, dann kamen kleine fiese Mücken – die Freuden des Zeltens.

Campingplatz am Lake Spokane

Lake SpokaneUnd nein, gut geschlafen ist etwas anderes. Früh aufgestanden und zügig Richtung Glacier NP, an dem ich am frühen Nachmittag ankam.

Verlässt man die Cascade Mountains im Osten, zu denen so beeindruckende Gipfel wie der Mount Rainier oder Mount St. Helens zählen, kommt man kurzzeitig durch ein Vorgeplänkel der eigentlichen Plains, die östlich der Rocky Mountains beginnen. Also flaches Farmland, das meilenweite Sicht auf gerade verlaufende, endlos erscheinende  Straßen erlaubt. Dass es sich hier nur um ‚Mini-Plains‘ handelte wurde mir spätestens im Osten Montanas vor Augen geführt.

Nach einer halben Tagesfahrt durch die Ebenen erscheinen am Horizont schon die Berge der Rocky Mountains. Spätestens seit unserer Reise von Denver durch die Rocky Mountains in 2010 bin ich ein Fan. Nun denn, es ist ja kein Geheimnis, dass ich die Berge liebe.

on the road Erste Station in den Rockies war dann also der Glacier National Park. Dazu und zu meinen  – ungeplanten – Ausflügen nach Kanada in den Waterton Lakes NP und den Grassland NP wird es einen eigenen Blogbeitrag geben. Das würde hier im Schnelldurchgang den Parks nicht gerecht werden. Da muss ich um ein bisschen Geduld bitten 🙂 .

Verlässt man die Rocky Mountains gen Osten, liegt vor einem die endlose Weite der Plains. In mir war so eine Mischung aus Wehmut und Faszination. Im Rückspiegel sieht man lange noch die Berge, während man hineinfährt in die Welt der unvorstellbar großen Farmen, der Prärie, des Grases, der Einsamkeit, der nicht enden wollenden geradeaus führenden Straßen. Gefühlt kommt man nie irgendwo an.

im Hintergrund die RockiesIn den vielen Stunden durch diese Landschaft, in denen man außer in kleinen Orten beim Tanken oder einem Diner beim Mittagessen, niemanden trifft, die Unterhaltungen sich auf das Wesentliche beschränken, fließen die Gedanken. Ich konnte das schon immer gut, beim Autofahren meine Gedanken sortieren, Pläne schmieden, träumen, imaginäre Unterhaltungen führen. Auf den einsamen Straßen in den nördlichen Staaten der USA und den angrenzenden kanadischen, Montana, North Dakota, Minnesota, Saskatchewan, ging das hervorragend. Bessere Trauerarbeit kann man sich gar nicht vorstellen. Ein Oldie-Sender im Radio und die Tränen haben freien Lauf. Und die Freude. Die Freude daran, tatsächlich unterwegs zu sein, es manchmal gar nicht glauben zu können, zu genießen und mal wieder das zu spüren, was ich als Freiheit empfinde. Manchmal erschrecke ich darüber, wie sehr ich das Reisen nur mit mir genieße. Aber irgendwann kam dieses Mal der Punkt, an dem es mir zu viel wurde. Zu viel Einsamkeit, zu lange Strecken, keine Kontakte, kaum Unterhaltungen. Das hat mich dann wieder beruhigt.

Kurzzeitig fuhr ich durch Tornado-Gegenden, es gab ein paarmal Warnungen, ein paar Gewitterwolken sahen aus, als könnten sie zu einer ‚Zelle‘ werden, am Ende sind alle Tornados an mir vorbeigezogen.

Tornado-Warnung
irgendwo in Montana…
…da wo man 70 fahren darf
…im großen weiten Nichts
viel mehr als hin und wieder einen Historical Marker gibt es nicht zu sehen … die haben es dafür in sich
Und wohin geht es morgen?

Von North Dakota bis Wisconsin

Irgendwann sind die Plains zu Ende. Nicht dass es dann landschaftlich wirklich spannender wird. Okay, vielleicht tue ich diesen Staaten unrecht, denn ab North Dakota wurde mir klar, dass ich noch nicht mal die Hälfte der Strecke hinter mir hatte. Was bedeutet, dass ich mir auch keine Zeit genommen habe, was anzuschauen. North Dakota hat mich entsetzt. Kaum fährt man von Montana in den Staat hinein, stehen rechts und links des Highways 2 Ölförderanlagen. Öl-Fracking ist hier erlaubt und an jeder nur denkbaren Stelle stehen die kleinen Bohranlagen. In der Luft liegt der unangenehme Öl-Geruch und ich wollte da irgendwie nur durch. Hier ist Nr. 45 natürlich der Held, der den Menschen Jobs und Geld verschafft hat.

Fracking in North Dakota
Fracking-Anlagen direkt am Missouri

Vielleicht bin ich da besonders empfänglich, vielleicht ist es aber auch wirklich so, ich habe vor allem in den Staaten des Nordostens eine größere Spannung verspürt als noch vor vier Jahren bei meinem letzten Besuch in den USA. Festmachen kann ich das gar nicht. Da ich gerade in dieser Ecke der USA, im speziellen North Dakota und Minnesota noch nie war, habe ich keinen Vergleich.  Der 4. Juli stand vor der Tür und in den kleinen Orten, die man auf dem Highway 2 passiert, sah man überall US-Flaggen entlang der Straßen. Der Nationalfeiertag ist für den ein oder anderen Gelegenheit, seine politische Gesinnung mit Plakaten auf sauber gemähtem Vorgartengras kundtun zu müssen. Vermutlich hat mich das einfach zu sehr abgeschreckt.

Letztlich habe ich den 4. Juli relativ entspannt in einem kleinen Ort am Lake Michigan verbracht, ohne großen Trubel.

Zuvor hatte es mich, da ich einiges an Zeit reingefahren hatte, in den Voyageurs National Park im nördlichen Zipfel Minnesotas verschlagen. Ich dachte, vielleicht fahr ich nochmal rüber nach Kanada, und ein weiterer National Park ist doch auch ganz nett.

Nun denn, die Region dort im Norden war für mich jetzt weniger spannend, Wälder, Flüsse und viel Wasser. Die Grenzregion nach Kanada ist eher Industriegebiet, das war also keine Option. Nachdem ich dann endlich den Eingang in den National Park gefunden hatte und im Visitor Center stand, war der Tag schon leicht fortgeschritten. Na gut, dann geh ich halt nochmal zelten, dachte ich so in meiner Naivität.

Als ich die beiden netten Ranger fragte, ob es denn auch ohne Reservierung noch ein Plätzchen auf dem Campingplatz mit einem kleinen Zelt gäbe, hat man mich etwas ungläubig angeschaut. Ob ich denn ein Boot hätte. Äh, nein, natürlich nicht. Hmm, da müsste man dann ein Wassertaxi organisieren, das könnte schon zu spät sein.

??? Alle Zeltplätze liegen auf Inseln, die nur mit dem Boot erreichbar sind. Haha, hätte ich mich auch mal vorher schlau machen können. Voyageurs NP wurde somit schnell abgehakt, ein kleiner Spaziergang entlang des Sees, der mich zudem davon überzeugte, dass ein Motel gar nicht so schlecht wäre – da bleibt man nämlich von Mücken verschont 😉 .

Im Voyageurs NP

Vom Voyageurs ging es über die Südwest-Ecke des Lake Superior, inklusive nettem Motel am See und Badestop, weiter zum Lake Michigan. Das war übrigens der letzte der großen Seen, in dem ich noch nicht schwimmen war. Kann ich also abhaken 😀 .

baden im Lake Superior
am Lake Superior

Wisconsin

In Wisconsin habe ich mein ‚home away from home‘. Manchmal mache ich mir einen Spaß daraus, auf die Frage „which place in the US do you like most?“ zu antworten „Wisconsin“. Die Fragenden erwarten eine Antwort wie Grand Canyon oder einen anderen National Park, New York, San Fransisco oder die Rocky Mountains. Irgendein Highlight, für das die Touristen in die USA fliegen. Natürlich ist Wisconsin, bis auf einige schöne Plätze am Lake Michigan, nicht gerade der landschaftlich spannenste Staat. Vor allem nicht für uns Mitteleuropäer, viel Felder, Wälder, Flüsse, Seen, leicht hügelig, viele Mücken und die Heimat einiger Brauereien.

Aber wie so oft im Leben definiert sich das Gefallen nicht zwingend an den bekannten Touristenmagneten, sondern an den Menschen.

Als ich von Minnesota aus über die Brücke am Lake Superior nach Wisconsin gefahren bin, kam – obwohl noch weit von meinem Ziel im Süden des Staates entfernt – ein heimatliches Kribbeln auf.

Wie geplant, wollte ich die letzten drei Tage vor dem Abflug nach Hause, mit meiner Freundin und ihrem Mann auf ihrer Farm in Wisconsin verbringen.

Kurz zuvor habe ich noch einen Stop in Sheboygan vorgenommen und einen Bekannten dort besucht. Ich gestehe, ich habe die Gesellschaft aufgesogen. Nach 10 Tagen ohne nennenswerte Kontakte, ohne größere Unterhaltungen, war ich ein bisschen vereinsamt. Und schließlich hatten wir uns ja auch einiges zu erzählen nachdem wir uns einige Jahre nicht gesehen hatten.

Lake Michigan in Sheboygan
Lake Michigan in Sheboygan

Von dort sind es nur gute zwei Stunden bis zur Farm, die mein erster Anlauf am nächsten Morgen war. Ah, was für ein Wiedersehen. Vier Jahre mögen eine lange Zeit sein, aber wir haben nichts davon gemerkt. Ein herzliches Hallo und schon hab ich mich wieder zuhause gefühlt. Wir wussten gar nicht wo anfangen zu erzählen.

Die Farm hat einiges an Zuwachs bekommen, eine Herde Ziegen, ein neues Pony, eine neue Hündin und vor allem 28 Hühner. Verschwunden waren die Mücken, die mich schon so geplagt haben dort. Da die Hühner den lieben langen Tag draußen im Gras herumpicken, kann ich nur vermuten, dass sie alle Mückeneier gefressen haben.

Wir haben jede freie Minute gemeinsam genutzt, waren zu dritt schön essen, haben von unseren so unterschiedlichen Leben erzählt und unsere nicht sehr unterschiedlichen politischen Ansichten geteilt. Ich habe die Hunde ausgeführt, wie selbstverständlich war das schon immer meine Aufgabe und Freude, wenn ich dort war.

Ruby
Keeper

Wir haben gemeinsam getrauert über den Verlust eines Freundes, der in der selben Nacht starb, wie mein Vater. Mir war damals schon klar, dass ein Großteil meiner Tränen Darrell galt, mit dem ich so viele nette Stunden in Chicago verbracht habe und mit dem ich so viele Dinge, die wir uns vorgenommen hatten, nun nicht mehr machen kann. Es war schön über ihn zu reden und Geschichten, Episoden zu erzählen. Von einem Besuch in Chicago habe ich deshalb abgesehen, das hätte mich zu traurig gemacht.

Auch wenn es vielleicht wieder ein paar Jahre dauern wird bis wir uns wiedersehen, es wird sein wie dieses Mal, als wäre keine Zeit vergangen und wir knüpfen dort an, wo wir aufgehört haben.

Natürlich beantworte ich die Frage „wo es mir am besten gefalle“ mit „Wisconsin“, klar, oder?

… und wie war es so?

Interessant war bei dieser Reise, dass ich nach den insgesamt drei Wochen – 6 Tage New York, 15 Tage ‚On the road‘ –  gerne nach Hause geflogen bin. Das ist ungewöhnlich und mag u.a. auch daran liegen, dass die 5000 gefahreren Kilometer in der kurzen Zeit eindeutig zu viel waren und mein Rücken sich nicht gerade bedankt hat. Bedingt dadurch habe ich das Zelten nach drei Nächten eingestellt, weil mein gefühlt nicht mehr so ganz junger Körper nach den langen Autofahrten ein Bett wollte. Findet man auf Campingplätzen immer mal Anschluss oder einen Ranger Talk, ist man im Motel alleine auf seinem Zimmer. Motels sind super praktisch, aber fördern die Einsamkeit. Vielleicht wird es auch einfach Zeit, dass ich mal wieder in Gesellschaft reise, hm?  🙂

Erst zuhause konnte ich den Wert der Reise schätzen. Wie gut es mir getan hat, wie befreit ich durchs Land fahren konnte, wie sofort das Gefühl für Land und Leute wieder da war. Drei Staaten konnten der Sammlung hinzugefügt werden, das macht jetzt insgesamt 37 besuchte Staaten.

Ich denke Alaska stände mal auf dem Programm. Aber die Rocky Mountains und tiefer hinein nach Kanada wäre auch was.

So viel ist klar, weder die Pläne noch die Lust am Reisen in die USA gehen mir aus.

 

 

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