Ich pendle. Zur Arbeit. Seit ein paar Monaten und bald auch schon wieder nicht mehr.
Es gibt vieles, das ich nicht daran mag, allem voran das frühe Aufstehen und die Abhängigkeit von einer Bahn, die Pendler – nach Anschein – mehr wie eine lästige Notwendigkeit denn als zahlende Kunden behandelt.
Aber das soll hier nicht das Thema sein.
Ich mag vieles am Pendeln und vermutlich werde ich es vermissen.
Ich kann dann natürlich auch nicht mehr schimpfen. Über die Bahn zum Beispiel. Das hebe ich mir dann für Langstrecken auf. Oder jammern. Über den viel zu wenigen Schlaf. Oder die nervenden Mitpendler. Die meisten Pendler sind eben dieses: Pendler. Und benehmen sich auch so, also rücksichtsvoll, der frühmorgendlichen Tranigkeit bzw. der allabendlichen Müdigkeit entsprechend.
Trotz dieser Gemütszustände genieße ich es, meine Umgebung aus dem Augenwinkel wahrzunehmen und bin immer wieder fasziniert davon, was alles so hängenbleibt, vor allem, wenn man bedenkt, dass für mich diese Zugfahrten wertvolle Lesezeit sind.
Überhaupt, man sieht viele Leser in den Zügen und S-Bahnen. Die Zeitungsleser, die eReader-Leser, die Smartphone- und Tablett-Leser, die Buchleser, die Lernstoff-Leser usw. Sprechen ist in Pendlerzügen eher verpönt, auch wenn es hier natürlich Ausnahmen gibt. Frühstückstüten-Raschler werden grantig angeschaut, auch wenn sie es nicht wirklich registrieren oder ausblenden, sonst würden sie es ja lassen, oder? Urlaubsreisende mit größeren Gepäckstücken mögen wir in den frühen Zügen, die spätestens ab dem vierten Haltebahnhof keine Sitzplätze mehr bieten, gar nicht. Das gibt nur Stress. Nehmt doch bitte den ICE, der hat Gepäckfächer. 😉
Ich fahre ca. 45 Minuten von Bahnhof zu Bahnhof, und liebe es zwischen dem Lesen auch mal rauszuschauen. Jetzt beginnt die Zeit, in der es morgens gerade dämmert. Das Licht ist dann besonders schön und wenn es ganz klar ist, dann sieht man im Süden die Alpen. Wunderschön. Und die Farben der Natur, die Wolken, die draußen am Fenster vorbeiziehen – ein schöner Einstieg in den Tag. Das werde ich vermissen.
Hunderte von Menschen wirft der Zug am Zielbahnhof aus. Ich stelle mir manchmal das Bild aus der Vogelperspektive vor. Wie wir alle aus den Zugtüren herausströmen auf den Bahnsteig, einander ausweichend, langsamer Laufende überholend, ohne sich zu berühren, sich aufteilend auf die unterschiedlichen Ziele nach der Bahnfahrt, ein Meisterwerk an morgendlicher Koordination.
Mein Weg geht zu einem anderen Gleis, ich steige um in eine Privatbahn, die mit nahezu erschreckender (und manchmal ungewünschter) Pünktlichkeit aufwartet. Hier am Bahnsteig herrscht Ruhe, die meisten Mitreisenden kennt man inzwischen.
Da ist der junge Mann, der jeden Morgen am Bahnsteig auf der Bank sitzt und eine Zigarette raucht. Manchmal unterhält sich ein Fahrgast mit ihm, manchmal sitzt er einfach nur da. Ich weiß nicht, was er da tut, habe ihn bisher nie angesprochen und gefragt – vielleicht mache ich das noch, vielleicht soll es einfach eine offene Geschichte bleiben, mal sehen. Er steigt nie ein in den Zug, bleibt immer zurück, wenn wir abfahren.
Oder die junge Frau, die oft auf den letzten Drücker in den Zug springt, sofort in die Toilette geht und sich mit Toilettenpapier die Nase putzt, bevor sie sich einen Platz sucht. Ich überlege, ob ich ihr mal ein Taschentuch anbieten soll, aber das Ritual ist irgendwie so seltsam, dass ich einfach staunend beobachte.
Der Mann, der offensichtlich eine noch weitere Anfahrt hat als ich, den ich oft vor Abfahrt des Zuges noch genüsslich eine rauchen sehe, der sich mir gegenüber setzt und dann sofort seine Frau anruft um ihr zu sagen, dass sein Zug mal wieder Verspätung hatte und er beinahe diesen unseren Anschlusszug verpasst hätte und immer das Gespräch beendet mit ‚hab dich lieb‘.
Ja, und die ältere Frau, die diverse Taschen und Tüten mit sich herumträgt und jeden Morgen in den Tiefen ebendieser auf die – erfolgreiche, aber aufwändige – Suche nach ihrem Fahrschein geht.
Das werde ich vermissen, die kurzen Einblicke in das Leben anderer, die Geschichten, die ich mir ausdenken könnte, das Schmunzeln über die Angewohnheiten.
Rituale, ich, morgens? Ach was. 🙂
Dass ich versuche immer einen Platz auf der ‚Südseite‘ des Zuges zu ergattern liegt doch nur daran, dass ich die Alpen sehen will, wenn sie denn zu sehen sind. Und dass ich im anderen Zug jeden Tag den gleichen Platz neben der Türe wähle ist lediglich dem Pragmatismus geschuldet, dass ich nur drei Haltestellen fahren muss.
Trotz all der Dinge, die ich vermissen werde, das Pendeln an sich wird es nicht sein. Ich habe ganz großen Respekt vor den Menschen, die das über Jahre durchhalten, für mich ist das nur ein kurzes einjähriges Intermezzo und ich kann daraus das Beste machen mit dem Bewusstsein, dass es bald vorbei sein wird.
…und jetzt muss ich mich mental auf die beiden härtesten Wochen der München-Pendler einstellen, nichts geht über Züge voller betrunkener Wiesn-Besucher – O’zapft is.