Zu diesem 4aus7 gehen gehen mir Fragen durch den Kopf. Darf ich das? Ist es in Ordnung darüber zu schreiben? So öffentlich meine Gedanken ausbreiten? Über meine Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen, Emotionen mit den Eltern zu schreiben? Schließlich können sie sich nicht dagegen wehren, sie werden es nicht einmal lesen. Ob es legitim ist oder nicht, keine Ahnung.
Ich weiß nur eines, es sind (auch) meine Erlebnisse.
Im Laufe des vergangenen Jahres ist viel passiert in der alten Heimat, im Leben meiner Eltern und damit verbunden auch in meinem. Ein paar Gedanken dazu gab es schon, zum Umzug der inzwischen 91jährigen in ein neues Zuhause und über das Ausräumen des alten Hauses.
Vielleicht fange ich damit an, dem Haus. Es ist leer, endlich vollkommen leer und steht zum Verkauf. Über das lange 1.Mai-Wochenende war ich noch einmal dort und habe den Schnappschuss gemacht von meinem alten Zimmer mit Blick auf die Stadt. Ich bin durch die leeren Räume gegangen und habe darauf gewartet so etwas wie Abschiedsschmerz zu spüren. Aber da war nichts. 34 Jahre ist es her, dass ich dort ausgezogen bin, mein Leben findet längst woanders statt. Beim wochenlangen Ausräumen der vielen Dinge, die mit Erinnerungen besetzt sind, war das anders. Noch traue ich dieser Emotionslosigkeit gegenüber dem Haus nicht, wer weiß, was noch aufploppt, wenn mein Schlüssel dann tatsächlich nicht mehr passt.
Zwei lange Wochenenden quasi hintereinander in Trier lassen mich erschöpft zurück. Schon am frühen Abend falle ich – trotz Trubels in der Stadt und tollen Veranstaltungen – völlig am Ende ins Hotelbett. Es ist, bedingt durch viel Herumrennerei, eine körperliche Erschöpfung, schwerer wiegt sicher die mentale.
Am Karfreitag hatte mein Vater einen zweiten – schweren – Schlaganfall. Durch die enorm schnelle Reaktion dieses Mal, konnte er in der Notaufnahme sofort behandelt und alle körperlichen Funktionen wiederhergestellt werden. Es folgten 10 Tage im Krankenhaus, ein paar Tage im immer noch neuen Zuhause und dann die Reha. Nachdem der erste Schlaganfall erst sechs Wochen zuvor war, mit ähnlichem Prozedere, kann man sich vorstellen, wie es diesem 91 Jahre alten Menschen ging.
Verwirrt.
Und dennoch, er schafft das. Ich weiß nicht wie, aber eine lange verloren geglaubte Eigenschaft tritt wieder zu Tage: seine humorvolle Phantasie. Schon im Krankenhaus fing er an, mir lustige Geschichten von früher zu erzählen, das Heute ist zu verwirrend, Angst machend. Das Früher kann erzählt, mit Anekdoten ausgeschmückt werden, auch wenn es Krieg und Gefangenschaft waren, es wurde überlebt. Es ist sicher.
In den ersten Tagen der Reha fragte er mich ständig „kannst du mir sagen, wo ich hier bin?“ Ja, auch das kann ich verstehen. Immer wieder andere Betten, die alle gleich aussehen, neue Zimmergenossen, wo man sich doch an das neue Zuhause in der Altersresidenz noch nicht gewöhnt hat. Es sagt nicht „ich will heim“, er sagt „ich will dahin, wo ich jetzt wohne“. Er vermisst die Gesellschaft meiner Mutter und sie vermisst seine. Sie sitzt im neuen Zuhause, in dem sie sich soweit wie möglich, mit viel gutem Willen, eingelebt hat. Sie möchte, dass wir ihm ein Telefon besorgen, damit sie ihm abends ‚gute Nacht‘ sagen kann.
Auch wenn mich das alles über die Maßen erschöpft, das Hin- und Herlaufen zwischen Heimwohnung und Krankenhaus bzw. Reha, es stimmt mich versöhnlich, es berührt mich.
Wie sollte es auch nicht. Das Zimmer meines Vaters blickt hinauf zur Mariensäule, oben auf den Felsen auf der anderen Moselseite. Jeden Tag übt er das Laufen und stellt sich vor, er erklimmt den Berg. „Ich war heute schon zweimal auf der Mariensäule“ wurde ich beim Besuch empfangen. 80, 90, 100 Schritte auf der Stelle, in der Phantasie steigt er die Stufen zum Denkmal hinauf.
Da ich quasi zum ‚Betüddeln‘ der Eltern in Trier war, auch damit mein Bruder mal ein freies Elternwochenende hat, sonst keine Aufgaben anstanden, konnte ich entspannte Zeit mit meiner Mutter verbringen. In Trier war ‚ChorMeile‘, 35 Chöre, die in der gesamten Innenstadt verteilt sangen. Das Wetter war schön und so sind wir zwei losgezogen, Chören zu lauschen. Über zwei Stunden waren wir zusammen unterwegs, man bedenke, auch sie ist 91.
Für gemeinsames Abendessen und Kaffee trinken war genügend Zeit beim Hin- und Herhüpfen zwischen Vater und Mutter. Es fand sich noch ein einsamer Osterhase, der schrie praktisch danach vertilgt zu werden. Muttern sagte „schneid den Kopf ab, den will ich haben“ 🙂
So sehr mich diese Situation in Trier gefühlt überfordert, so sehr genieße ich diese friedlichen Momente.
Das Hören der Geschichten, das Lösen des Kreuzworträtsels mit dem Vater, das gemeinsame Essen mit der Mutter, ein paar Handarbeiten erledigen und darüber hinaus noch Zeit finden mit dem Bruder einen ‚Geschwister-Ausflug‘ nach Luxembourg zu unternehmen, sind Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben.
Die Aufenthalte, das Zusammensein mit den Eltern erhält eine neue Dimension, Qualität. Nein, nichts an dieser ganzen Situation ist einfach, aber irgendwie berührend.
Sehr schön geschrieben!
Wenn man gute Gene hat von Leuten, die mit 90 noch solche Inhalte für einen Blog liefern, dann schafft man viel im Leben. Auch so einen komplizierten Satz lesen 😉
Ha, ich bekomme beim Schreiben bezüglich der Lesbarkeit meiner Sätze immer ‚gemeckert‘, sie wären zu lang ?. Da komm ich mit so nem Steffi-Satz doch locker klar. Und danke auch!